Unlängst bei den Olympischen Winterspielen
in Pyeongchang: Das Mobiltelefon des Journalistenkollegen
nebenan will nicht aufhören zu
piepsen, irgendwann riskiert man dann doch
einen Blick in die virtuelle Intimsphäre des Sitznachbarn.
Zahlen poppen auf, dazu Motivationssprüche:
Offensichtlich macht hier eine Fitness-Applikation
ihrem Benutzer Komplimente,
wenngleich der seit Stunden keinen Ortswechsel
vorgenommen hat.
Mein interessierter Blick stößt auf stolze Erwiderung,
der deutschsprachige Redakteur weiht
mich in die Geheimnisse seines elektronischen
Trainers ein: Nahezu stündlich würde ihm das
Mobiltelefon demnach mitteilen, wann er sich
wieviel und unter Aufwendung welcher Energie
auch immer bewegt hätte. „Was denn das
bringe?“, wage ich zu fragen und ernte dafür ein
Grinsen: „Selbstbestätigung.“ Das stete Gefühl,
Kalorien auch an einem Schreibtischtag verbrannt
zu haben und zudem die archivarische
Gewissheit der APP, bereits seit Monaten mehrere
hundert Kilometer per pedes oder pedales
bewältigt zu haben.
Der Boom von solchen Fitness-Tagebüchern
nimmt schier ungeahnte Züge an, allein die Erfolgsgeschichte
des oberösterreichischen Startups
runtastic mit täglich 150.000 neuen Usern
(Stand Mai 2017: 110 Mio.) verblüfft. Das Projekt,
gereift an einer Fachhochschule und bei einer
Segelregatta erstmals auf seine Tauglichkeit
getestet, steht sinnbildlich für den Höhenflug.
Eine Kennzahl aus dem Jahr 2015. Damals übernahm
Adidas den Marktführer um 220 Mio.
Euro, 200 Mitarbeiter schätzen das Unternehmen
ob seiner Führungskultur.
Viele Sportler setzen auf solche virtuellen
Personal Trainer, die vom Sixpack bis hin zum
Minuten-Workout oder dem Ironman-Training
alles versprechen.
„Doch sind – im Regelfall trainingswissenschaftlich
untermauerte – Applikationen
wirklich auf jeden APP-aptierbar, also
anwendbar?“ Florian Madl, Sportressort Tiroler Tageszeitung
Bedarf nicht das Krafttraining
einen Grundstocks an Erfahrung, das Ausdauertraining
ein individuelles Abstimmen der
Trainingsumfänge auf Befindlichkeit und Tagesverfassung?
Können Kalorien-Angaben, die
dem Benützer die Selbstsicherheit in Sachen
Energieverbrauch vermitteln auch wirklich auf
Sportler umgemünzt werden?
Ein fragwürdiger Trend setzt ein, zumal sich
die Trainingswissenschaft nicht einmal in einfachsten
Formeln wie dem sogenannten Body
Mass Index einig scheint, der das Körpergewicht
in Relation zur Größe stellt und anhand
einer Tabelle Rückschlüsse auf die Anthropometrie
zulässt. Möglicherweise muss der Stellenwert
der Fitness-Applikationen neu bewertet
werden: Weg vom Personal Trainer, hin zum
Leistungsnachweis. Nicht weniger, aber auch
nicht mehr. (Florian Madl, Sportressort Tiroler Tageszeitung)