Im Gespräch mit Trendforscher Andreas Reiter über eine kompetitative Gesellschaft und ihre Bedürfnisse, eine geringere Aufmerksamkeitsspanne bei den Jungen heutzutage und wie sich das alles auf eine Laufveranstaltung umlegen lässt. 

 

Innsbruckläuft:  Laufen erfährt eine starke Zuwendung von Menschen, dennoch klagen manche Veranstalter über rückläufige Teilnehmerzahlen. Wie erleben Sie das?

Andreas Reiter: Ob Trailrunning oder was auch immer, die Menschen laufen und sind schon immer gelaufen. Mir ist nicht unbekannt ob die großen Marathons rückläufig sind, dass einige Schwierigkeiten haben ist mir bekannt. Alles was draußen statt findet boomt.

Wofür können sich die Jungen heutzutage begeistern?

Es geht stark um Bewegung in der Natur. Trailrunning, Crosscountry, Klettern, Bouldern bis hin zu Speedklettern. Herausforderung, bis zur Grenze gehen, gemischt mit performancetracking. Sie haben ja heute das Phänomen, dass jeder mit seiner Armbanduhr seine Leistungen misst. Der Freizeitsport ist immer auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen.

Der Leistungsgedanke ist also auch bei den Jungen stark ausgeprägt?

Wenn wir in einer Gesellschaft leben, die stark wettbewerbsorientierte Werte hat, eine kompetitive Gesellschaft, dann spiegelt sich das auch in der Freizeitgestaltung wieder. Der Erste, der Schnellste, der am Höchsten springt… diese Themen sind vorhanden. Entweder greife ich sie auf in Wettbewerben oder ich verweigere. In meiner Freizeit will ich nichts mit Wettbewerb zu tun haben, weil ich schon genug berufliche Anforderungen habe. Das sind die beiden großen Pole, die einen greifen es aktiv auf und die anderen passiv.

Die Natur wird zur Bühne.

Tendenziell geht der Trend schon zum Trailrunning oder extremen Crosscountry-Formaten. Es muss etwas passieren, es muss eine Herausforderung da sein. Es sind auch Veranstaltungen interessant, die einen Act mit dabei haben, das ist mindestens so wichtig wie die Hauptveranstaltung. So kann ich es auch schaffen,  junge Leute zu interessieren. Das ganze muss natürlich zur Veranstaltung, den Ausrichtern und der Gegend passen – es darf nicht beliebig und dadurch austauschbar sein.

Stichwort Markenbildung. Wie finde ich das was zu mir passt und andere interessiert?

Im Pitztal ist das etwas anderes als in ei-ner Stadt wie Innsbruck. Der Gletscher hat einen harten Markenkern, sich anstrengen, verausgaben, Leistung. Es muss ein ganzheitlicher holistischer Ansatz werden, der an allen Markentouchpoints eine Botschaft wiedergibt. Die Läufer haben eine große Auswahlmöglichkeit an Veranstaltungen, wenn ich der 137. Lauf bin dann werde ich wenig neue Teilnehmerzahlen kreieren. Innsbruck ist als Marke alpin urban.

Wie kann der Stadtlauf attraktiver werden?

Was will der Stadtlauf vermitteln? Urbanes Flair ist nach meiner Wahrnehmung heute zu wenig. Die Stadt trifft den Berg – paradoxe oder hybride Produktgestaltungen funktionieren gut. Eine Frage der Dramaturgie und Gestaltung. Community Gefühl ist ein anderer starker Aspekt sowie der Mix aus Leistung und Gemeinschaft. Es ist wie ein Gummiband, das junge Leute heute suchen. Wenn ich eine klare Botschaft aussende, stark bin mit meiner Aussage und meiner Community, dann habe ich auch eine Strahlkraft. Die Frage ist: wofür steht der Stadtlauf.

Sind lange Distanzen wie ein Marathon dann überhaupt noch attraktiv?

Wenn man von Formaten spricht und einer gewissen Länge dann muss man auch berücksichtigen dass die Jungen heute eine geringere Aufmerksamkeitsspanne haben, sie kommunizieren über Youtube und andere Onlinekanäle. Kulturkritiker würden sagen, sie schaffen keine lange Erzählung mehr. Der Marathon ist aber eine lange Erzählung. Wenn aber alle so gehetzt und fragmentiert sind dann suche ich auf der anderen Seite auch wieder das Langfristige, deswegen boomen das Weitwandern oder große Trails, die 26 Stunden dauern. Ein Gegensatz zu dem Abgehackten. Danke für das Gespräch!

 

„Der große Mehrwert unserer europäischen Kultur, die individualistisch geprägt ist. Sie sucht das Sowohl als Auch – der Einzelne läuft alleine aber er ist immer eingebettet in ein Kollektiv, also geht es immer um Ich und Wir und die Verbindung von beidem.“ Andreas Reiter  Zukunftsforscher 

 

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